DieStromnetzformen in den USAunterscheiden sichgrundlegend von denen in Europa. Wer einelektrisch betriebenes Gerät in die USA exportieren will, muss sich also nicht nur mit Steckern und Steckdosen beschäftigen, sondern auch mit unterschiedlichen Netzspannungen und völlig anders gestalteten Stromnetzen.
Stromnetzformen in den USA
Ein wichtiger Hinweis vorweg: Das Stromnetz in den USA ist historisch in über 100 Jahren gewachsen, lange Zeit ohne größere regulatorische Eingriffe durch den Staat. Dadurch und wegen der enormen Größe und föderalen Struktur des Landes finden sich auch heute noch einegroße Zahl unterschiedlicher Netzformenund Anschlüsse.
Zwar gibt es in den letzten Jahrzehnten auch in diesem Bereich verstärkte Bemühungen um eine Vereinheitlichung der Netze, jedoch ist immer noch mitlokalen Besonderheiten und Abweichungen von der Normstets zu rechnen – insbesondere im ländlichen Raum.
Viele der in diesem Beitrag angesprochenen Punkte gelten auch für andere englischsprachige Länder. Sosind zum Beispiel auch in Großbritannien Einphasen-Dreileiternetze üblich, jedoch mit 230 V.Im Folgenden betrachten wir jedoch ausschließlichdie gängigsten Stromnetzformen in den USA und Kanada.
Maschennetze und Stichnetze: Mittelspannungsnetze in den USA
In Europa sind Stromnetze in der Regel alsMaschennetzeangelegt, das heißt, es gibt immer wieder Verknüpfungspunkte innerhalb des Netzes. Dadurch können Ausfälle besser kompensiert und die Spannung leichter konstant gehalten werden. In den USA, vor allem in den dünn besiedelten Staaten im westlichen Landesinnern, sind solche Netze oft unwirtschaftlich, weshalb dort häufigStichleitungsnetzeanzutreffen sind. Diese sind meist sternförmig mit geerdetem Sternpunkt angelegt.
Stichnetzesind zwar kostengünstiger anzulegen als Maschennetze, jedoch sind sie nicht nurwesentlich wenigerredundant– und somit auch weniger ausfallsicher – als Maschennetze, sondern auch bedeutend anfälliger fürstarke Spannungsgefälle. Auch die Versorgung der Endverbraucher unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von den bei uns üblichen Anschlüssen.
Einphasen-Dreileiternetz
DasEinphasen-Dreileiternetz(split-phase electric power), manchmal auch fälschlicherweise als Zweiphasenstrom-System bezeichnet, ist in den USA dieübliche Stromversorgung für Privathaushalte und Kleinbetriebe. Der bei uns in Europa seit vielenJahrzehntenübliche Dreiphasenwechselstrom („Drehstrom“) ist für diese Verbraucher in der Regel nicht verfügbar, sondern nur für große Gewerbekunden mit entsprechend hohem Verbrauch.
Zwischen beiden Leitern liegen in den nordamerikanischen Einphasen-Dreileiternetzen üblicherweise240Volt Spannungan, wobei diePhasen um 180 Grad gegeneinander verschobensind. Zwischen dem Neutralleiter und einem der beiden Leiter liegt in der Regel eine Spannung von ungefähr 120 Volt an. Zu beachten ist jedoch, daslokale Stromnetzeteilweise auch mit 120 V, 240 V, 277 V oder 480 V betrieben werden. Die Frequenz beträgt in der Regel 60 Hz.
Sonderfall: Single-Wire Earth Return
Insbesondere in den ländlichen Gegenden Kanadas kommt eine besonders kostengünstige Variante des Einphasen-Dreileiternetzes zum Einsatz: dasSingle-Wire Earth Return-System(SWER). Während es niederspannungsseitig gleich aufgebaut ist, wie die geschilderten Einphasen-Dreileiternetze, istimMittelspannungsnetznur ein elektrischer Leiter vorhanden, üblicherweise eine Freileitung und die Erdung dient als Rückleiter. In der Regel verfügt jeder Endkundenanschluss über einen eigenenMasttransformator, der den Strom umwandelt.
Nachteil dieses Systemsist, neben häufigenProblemen mit der Erdung, vor allem dasfehlende Drehfeld, wodurch leistungsstarke Maschinen wie beispielsweise Asynchronmotoren nicht direkt an das Stromnetz angeschlossen werden können. EinFrequenzumrichterkann hier Abhilfe schaffen. Ein weiterer Nachteil sind die großenSpannungsschwankungen. Diese haben ihre Ursache in der weiten Ausdehnung der Netze und machen teilweise den Einsatz spezieller Regel-Transformatoren erforderlich.
Netze ohne Erdung für die Industrie
Während bei privaten Hausanschlüssen eine Erdung in der Regel gegeben ist, ist dies bei Gewerbekunden oft nicht der Fall. Insbesondere in Fabriken und anderen großen Produktionsstätten ist damit zu rechnen, dass einStromnetz ohne Erdunginstalliert ist. Dies bietet den Vorteil, dass eine Abschaltung nicht sofort beim Auftreten eines einzelnenIsolationsfehlerserfolgt und der Betrieb nicht ungeplant unterbrochen wird. Die fehlende Erdung muss jedoch bei derPlanung der Schutzeinrichtungenim Schaltschrank beachtet werden.
Die Spannung in amerikanischen Stromnetzen
Neben der Netzarchitektur müssen wir uns noch einen weiteren Faktor ansehen, der häufig für Irritation sorgt: dieSpannung. Europäische Anwender und Hersteller sind gewohnt, dassdie in einem Stromnetz herrschende Spannung immer alsBetriebsspannungbezeichnet wird, vom Kraftwerk bis zum Verbraucher. In Nordamerika wird hingegen zwischen derSpannung im Versorgungsnetz(Service Voltage) und derSpannung im Verbrauchernetz(Utilization Voltage) unterschieden.DasSpannungsgefällezwischen diesen beiden Werten darf laut National Electrical Code (NEC) nicht mehr als 5 Prozent betragen.
Was dieToleranzenangeht, innerhalb derer dieSpannung schwankendarf, wird in den USA zwischen zwei Zonen unterschieden, von denen die eineRange Agenannt wird und innerhalb derer nurgeringe Spannungsschwankenauftreten.Range Bhingegen bezeichnet einen Bereich, in demstärkere Spannungsschwankungenvorkommen, die nicht permanent toleriert werden können. Wie hoch diese Toleranzen sind und wann genauRangeBbeginnt, ist jedochnicht definiert, sondern hängt von der Empfindlichkeit der jeweiligen Verbraucher ab.
Was bedeutet das alles für den Export in die USA?
Die Frage die sich deutsche Anlagen- und Maschinenbauer nun stellen lautet wohl: Welche Bedeutung habendie gängigen Stromnetzformen für meinExportgeschäft?
Am Einsatzort ist mitunterschiedlichen Spannungenund stärkeren Spannungsabfällen als in Europa zu rechnen. Einigermaßen verlässlich kann jedoch von einerFrequenz von 60 Hzausgegangen werden.
Falls eine Drehstromversorgung im Niederspannungsnetzgewünscht oder nötig ist, lässt sich diese am leichtesten mit einerDreiphasenerweiterungumsetzen, die in den USA alsDelta 4-Wirebzw.High Leg Deltabezeichnet wird. Dazu wird eindritter Leiter(derHigh Leg) in einer Dreieckschaltung über die beiden vorhandenen Leiter des Einphasen-Dreileiternetzes versorgt.
Sollte sich bei der Montage einer Anlage herausstellen, dass sie nicht mit der vor Ort gegebenen Spannung betrieben werden kann, kann einSpannungs- bzw. EingangstransformatorAbhilfe schaffen. Solche Lösungen kommen vor allem bei in Serie gefertigten Gerätenzum Einsatz, aber auch dann, wenn eine Anlage innerhalb der USA verlagert werden soll.
Exporteure sollten sich stets bewusst sein, dass ausgerechnet am Standort ihrer Anlageein lokales Stromnetz installiertsein kann, dessen Spannung zum Beispiel nicht den oben besprochenen Werten entspricht. Um unangenehmen Überraschungen vorzubeugen, ist es daher dringend zu empfehlen, dieörtlichen Gegebenheiten im Vorausmit dem Abnehmer vor Ort bzw. einem von ihm beauftragten qualifizierten Fachmannabzusprechen.