Solingerin sah Kanzler Scholz nur fünf Sekunden: „Lächerliche Nummer“ (2024)

Mittwoch, 28.08.2024, 06:54

Sei es Trost, Mitgefühl oder auch nur irgendetwas Staatstragendes? Hunderte Solinger haben sich am Montagmittag am Fronhofplatz versammelt, um den Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz am Tatort zu verfolgen. Am Freitag hatte ein Mann hier beim Stadtfest drei Menschen mit einem Messer getötet und acht schwer verletzt.

Doch mit welchen Erwartungen die Solinger dem Kanzlerbesuch auch beiwohnten – sie wurden maßlos enttäuscht. „Das ist eine Farce!“, sagt etwa Melanie Krekel entsetzt.

Scholz selbst bekamen sie an der Absperrung wartend keine fünf Sekunden zu sehen – als er aus der Gläsernen Werkstatt schritt und vor die Kameras trat. Weil der Kanzler nicht zu hören war, zückten einige ihrer Smartphones und starteten Livestreams. So konnten sie immerhin erfahren, was sich nur wenige Meter vor ihren Augen abspielt.

Scholz-Besuch in Solingen: „So viel Aufwand und Absperrungen für so eine lächerliche Nummer“

„Warum machen die das nur für die Presse? Mir fehlen die Worte“, kritisiert Krekel. Die 52 Jahre alte Solingerin hätte sich gewünscht, dass Scholz wenigstens die noch aufgebaute Bühne nutzt und zu den Solingern spricht. „So viel Aufwand und Absperrungen für so eine lächerliche Nummer“, zeigt Krekel für das Vorgehen kein Verständnis.

Mesut Sari (34) leitet eine Bäckerei gleich neben dem Rathaus in Solingen. Er sei „froh“, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) heute in Solingen ist. „Er kann nicht viel machen, der arme Mann. Aber er kann Trost spenden, das hilft uns.“

Die Menschen in Solingen seien „schwer getroffen“, sagt Sari. Er sei selbst Muslim. Das, was Issa al H. getan hat, habe „nichts mit unserem Glauben zu tun. Das steht in keinem Buch der Welt.“

Nach Messer-Tat am Freitag - „kontrollieren Sie besser, wer in das Land kommt“

Er komme aus Essen-Kray, eine „harte Gegend“, wie er sagt. Doch das Zusammenleben zwischen Menschen aller Nationalitäten in Kray funktioniere im Prinzip „reibungslos“, sagt er.

Die Tat vom Freitagabend werde die Gesellschaft weiter spalten, sagt er: „So etwas kann nur spalten“. Er wolle mit seiner Familie und seinen Freunden in Frieden leben. Aber er registriere oft misstrauische Blicke gegen ihn als Türken: „Manche Leute scheren alle über einen Kamm.“

Er erhofft sich vom Bundeskanzler und der Regierung, dass sie den „Zusammenhalt in der Gesellschaft stärken“. Dies auch im Sinne der Flüchtlinge, denn „die meisten suchen hier Schutz und Frieden“. Doch es gebe auch solche „Typen“ wie den Attentäter, „die etwas ganz anderes wollen“, sagt Sari.

Und die dürften nicht hinein ins Land. Er habe selbst zwei kleine Kinder und mache sich Sorgen um ihre Sicherheit. Vom Kanzler fordert er daher: „Kontrollieren Sie besser, wer in das Land kommt.“

Besuch des Kanzler hinterlässt katastrophalen Eindruck

Indes wundern sich viele Solinger am Fronhof über den Auftritt des Kanzlers. „Das war zu spät“, sagt auch Edin über den Zeitpunkt und schiebt hinterher: „Es wäre schön gewesen, wenn er auf der Bühne gesprochen und sich den Bürgern gestellt hätte.“ Die Gruppe um ihn herum nickt zustimmend. Der Eindruck, den Scholz nun hinterlässt: „Er stellt sich der Bevölkerung nicht.“

An den Kanzler hätten die Solinger so manche Botschaft gerne gerichtet. „Ich hätte ihn gefragt, was er hier macht und was das soll?! Sie reden immer nur und machen nichts“, sagt Krekel. Was sie aus dem politischen Betrieb mitbekommen, lässt sie ratlos zurück. „Sie benehmen sich wie im Kindergarten und schieben sich gegenseitig die Schuld zu. Das nutzt doch nicht“, bemängelt sie.

Zumal die Solinger an Tag drei nach dem Anschlag beginnen, Fragen zu stellen. „Wo war die Polizei in der Situation?“, möchte Bastian gerne wissen. Edin rätselt: „Warum hat man nicht kontrolliert? Jedes Stadion ist viel strenger und hier beim Fest wird nicht drauf geachtet.“

„Wir als Ausländer fühlen uns jetzt noch unsicherer“

Sascha ergänzt: Er hätte gerne etwas am Eingang gewartet, wenn dafür die Sicherheit durch Kontrollen erhöht würde. Der Anschlag zeige für ihn: „Wir brauchen mehr Sicherheit und Kontrollen der Leute.“

Dass der Täter unerkannt fliehen konnte und sich nach Darstellung der Polizei später selbst stellte, spricht aus Sicht der Gruppe nicht für einen Ermittlungserfolg der Beamten. Zumal sie sich auch bei der Trauerfeier am Sonntag nicht sonderlich gut geschützt gefühlt hätten. „Das hätte jederzeit wieder passieren können“, sagt Edin.

Ihn treiben noch andere Sorgen um. In Deutschland geboren, mit albanischen Eltern und als Muslim spüre er, dass sich die Stimmung ändere. „Man merkt das schon an den Blicken“, sagt er und zeigt auf seinen schwarzen Bart. „Wir als Ausländer fühlen uns jetzt noch unsicherer.“ Er befürchte eine Vergeltung durch Rechte für den Anschlag, den mutmaßlich der 26-jährige Syrer Issa al. H. als Mitglied des selbsternannten „Islamischen Staates“ (IS) begangen hat.

Angesichts der sich häufenden Anschläge habe er Verständnis für die wachsenden Sorgen in der Bevölkerung. „Ich bin auch Muslim und verurteile das. Das repräsentiert uns nicht“, betont er. Von seiner Glaubensgemeinschaft erwartet er, dass sie sich deutlicher von Extremisten abgrenzt und öffentlich, etwa mit Demonstrationen, für ein friedliches Zusammenleben eintritt.

Klar ist für die Gruppe auch, dass sie sich als Gesellschaft nicht spalten lassen wollen. Ihre Botschaft an die Republik ist eindeutig: „Wir stehen zusammen!“

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